KI ist nicht die Lösung für alte Probleme – sondern der Anstoß für ganz neue Fragen

Die Zahl der Konferenzen zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) nimmt kontinuierlich zu. Vertreter:innen aus privater Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung diskutieren dort engagiert über die digitale Zukunft, den strategischen Einsatz von KI und die notwendige Transformation in den beiden Sektoren. Die zentrale Botschaft ist unüberhörbar: Sowohl der öffentliche als auch der private Sektor müssen ihre Digitalisierungsbemühungen massiv beschleunigen. Der Druck wächst – verursacht durch komplexere Verwaltungsaufgaben, steigende Effizienzanforderungen, zunehmende Cyberbedrohungen und den dringenden Bedarf an moderner, zukunftsfähiger Infrastruktur.  Die Technologien sind vorhanden. Von Chatbots in der Bürgerkommunikation über automatisierte Verwaltungsprozesse bis hin zu „Co-Pilots“ – es fehlt nicht an digitalen Lösungen. Auch in der Wirtschaft stehen Unternehmen vor der Herausforderung, ihre Wettbewerbsfähigkeit im Hochlohnland Deutschland gegenüber der globalen Konkurrenz zu sichern. Vom digitalen Onboarding in HR-Abteilungen bis hin zu sicheren Cloud-Lösungen für die Verwaltung komplexer Datenströme – die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig vorhanden.  

Der Eindruck drängt sich auf, dass KI derzeit als durchweg vielversprechende Lösung für alle möglichen Herausforderungen wahrgenommen wird – so sehr, dass kritische Fragestellungen oft in den Hintergrund rücken. Dabei wäre nicht nur der immense Energiebedarf oder der stetig wachsende  Innovationsdruck zu nennen, sondern auch die tiefgreifenden Auswirkungen von KI-Anwendungen auf unsere Arbeitsweise. Vor diesem Hintergrund stellt sich mir die Frage: Welche Konsequenzen hat der Einsatz von KI für unser Verständnis unseren jetzigen Tätigkeiten? 

Die Verbreitung von Künstlicher Intelligenz nimmt rasant zu 

Die Dynamik ist eindeutig: Immer mehr Unternehmen in Deutschland setzen auf Künstliche Intelligenz. Laut einer aktuellen Erhebung des ifo Instituts (2024) nutzten im Jahr 2024 bereits 27 % der deutschen Unternehmen KI – im Vergleich zu lediglich 13,3 % im Jahr zuvor. Besonders stark verbreitet ist der Einsatz im verarbeitenden Gewerbe: Hier gaben 31 % der Unternehmen an, KI-Anwendungen zu nutzen. In Branchen wie der Automobil-, Elektronik-, Pharma- und Textilindustrie liegt der Anteil sogar bei über 33 %. Noch deutlich höher ist der KI-Einsatz im Dienstleistungssektor: In der Werbe- und Marktforschungsbranche liegt er bei 72 %, bei IT-Dienstleistern bei rund 60 % (ifo Institut, 2024). 

Auch die Unternehmensgröße spielt eine entscheidende Rolle beim KI-Einsatz: 

  • In Großunternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden setzen 48 % KI ein,
  • in mittleren Unternehmen (50–249 Mitarbeitende) sind es 28 %,
  • und bei kleinen Unternehmen (10–49 Mitarbeitende) immerhin 17 % (Destatis, 2024).

Parallel dazu wächst auch das Angebot an Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen rund um KI deutlich. Plattformen wie der KI-Campus, das Mittelstands-Digital-Zentrum (Schreibweise bitte prüfen) oder das Hasso-Plattner-Institut bieten gezielte Trainings an, um sowohl das notwendige Mindset als auch das technische Know-how für den sinnvollen Einsatz von KI in Unternehmen zu vermitteln.  

Auch zahlreiche Whitepaper und Leitfäden versuchen, Orientierung im Umgang mit KI zu geben. Ein Beispiel ist das Whitepaper „Führung und Künstliche Intelligenz – ein Leitfaden“ (Möslein et al., 2020), das die Potenziale und Herausforderungen von KI im Kontext von Führungsaufgaben analysiert. Es bietet konkrete Gestaltungsempfehlungen für Führungskräfte, die nicht nur verstehen möchten, wie KI eingesetzt werden kann, sondern auch, welche Rolle sie selbst in dieser Transformation übernehmen sollten. 

Doch genau hier zeigt sich eine Lücke. Viele dieser Leitfäden bleiben auf der operativen oder technologischen Ebene stehen. Aus meiner Sicht greift das  zu kurz. Es braucht einen tiefergehenden Diskurs über die strategische, ethische und kulturelle Einbettung von KI in Organisationen – insbesondere im Hinblick auf die Neudefinition von Verantwortung, Entscheidungsräumen und Führungsverständnis. 

Mein Gedanke dazu: Im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz und datengetriebenen Organisationen steht Führung vor einem Paradigmenwechsel – wir müssen Leadership neu denken. 

Im Zuge der digitalen Transformation und der zunehmenden Integration von KI) in betriebliche Abläufe stellt sich eine weitere grundlegende Frage: Wie muss Führung gestaltet sein, wenn sie nicht mehr nur Menschen, sondern auch Datenflüsse, technologische Potenziale und algorithmisch vorbereitete Entscheidungsräume orchestrieren soll? Es genügt längst nicht mehr, agile Methoden einzuführen oder KI-Systeme punktuell zu integrieren. Was heute gefordert ist, ist ein tiefgreifendes Verständnis von Organisationsarchitektur, das den Wandel nicht nur technisch, sondern auch kulturell und strategisch mitdenkt. Technologie kann als Enabler wirken – aber nur dann, wenn sie in ein intelligentes Zusammenspiel aus Verantwortung, Teilhabe und Weitsicht eingebettet ist. 

Ein kritischer Punkt ist dabei die Frage nach dem Entscheidungsverhalten: Was passiert, wenn KI-Systeme nicht nur Empfehlungen geben, sondern Entscheidungen weitgehend vorstrukturieren – und Menschen ihnen lediglich zustimmen? Die Grenze zwischen aktiver und passiver Entscheidung verschwimmt. Wenn KI und Daten die Einschätzungen von Menschen bestätigen, beeinflusst das nicht nur, wie gut eine Entscheidung ist, sondern auch, wie sehr sie als richtig oder gerechtfertigt gilt. 

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Entscheidungsräume so zu gestalten, dass Einschätzungen und deren Herleitungen transparent und nachvollziehbar bleiben. Nur dann lässt sich erkennen, wann eine Entscheidung tatsächlich vom Menschen getroffen wurde – und wann von der KI. 

Ein ebenso relevanter Aspekt ist die Frage, worüber in Zukunft überhaupt noch vom Mensch entschieden werden muss. Welche Entscheidungen werden bereits automatisiert? Welche Aufgaben entfallen – und welche neuen entstehen? Die klassischen Führungsrollen – sei es auf Team-, Projekt- oder C-Level – basieren auf dem Paradigma der Steuerbarkeit von Organisationen. Führung bedeutete bislang: Zugang zu Wissen, Treffen von Entscheidungen, Koordination, Motivation, Sinnstiftung, Prioritätensetzung. Genau diese Aufgaben könnten zunehmend von KI-Systemen übernommen werden. Datenbasierte Technologien sind in der Lage, komplexe Zusammenhänge schneller und umfassender zu analysieren als einzelne Menschen. Sie ermöglichen konsistente, faktenbasierte Entscheidungen – in vielen Fällen effizienter und skalierbarer. Somit stellt sich die Frage nach Verantwortung neu:  

Wer trägt die Konsequenzen von Entscheidungen, die KI vorbereitet oder trifft? 

 Könnte ein dezentrales System – etwa auf Basis von einer wie Blockchain gedachten Technologie, also einem „Digital Trust“– Verantwortung transparent, sicher, und ethisch akzeptabel abbilden? Wofür brauchen wir „Vertrauen“? Falls die Antwort ist: Wir brauchen so eine digitale Trust-Lösung vielleicht noch nicht heute, dann wäre das aber vielleicht ein Modell für die Zukunft. 

Aktuell bleibt die Verantwortung bei den Führungskräften. Aber ihre Rolle wandelt sich: Sie müssen KI-Systeme nicht nur einführen und nutzen, sondern auch strategisch steuern, kontinuierlich bewerten, weiterentwickeln – und im Zweifel ersetzen. In diesem Kontext wird hybride Führung zu einem Schlüsselbegriff für die kommenden Jahre. Auch in hochgradig datengetriebenen Organisationen brauchen Menschen Orientierung. Emotionale Intelligenz, Empathie und kommunikative Kompetenz gewinnen an Bedeutung – als bewusst gesetzter Kontrapunkt zur algorithmischen Rationalität. Gleichzeitig muss sich Führung neu justieren. In einer Welt, in der KI nicht nur Prozesse automatisiert, sondern Entscheidungsgrundlagen generiert, sind neue Standards unerlässlich. Unternehmens-Governance-Strukturen, ethische Leitlinien und Transparenz in Entscheidungsprozessen werden zu zentralen Pfeilern eines zukunftsfähigen Führungsverständnisses. 

Christoph Mokwa, ion3 Prozessmanagement GmbH 

Quellenangaben: 

Plattform Lernende Systeme. (2024). Intelligenz – ein Leitfaden (Whitepaper). München: Plattform Lernende Systeme. Online verfügbar unter: https://www.plattform-lernende-systeme.de/publikationen.html; zuletzt geprüft am: 09.04.2025.  

Kerkhof, P., Wohlrabe, K., & Rösel, F. (2024). Die Nutzung von Künstlicher Intelligenz in der deutschen Wirtschaft (ifo Schnelldienst 8/2024). München: ifo Institut. Online verfügbar unter: https://www.ifo.de/DocDL/sd-2024-08-kerkhof-etal-ki-in-unternehmen.pdf EconStor+1Startseite+1 

Statistisches Bundesamt. (2023, 22. November). Jedes fünfte Unternehmen nutzt Künstliche Intelligenz [Pressemitteilung Nr. 453]. Online verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/11/PD23_453_52911.html