
- Bernhard Albert
Chemie weiterdenken 03: Warum Vernetzung die Zukunft der Branche prägen kann!
Was geschieht, wenn Expert:innen aus der Chemie-, Pharma- und Biotechindustrie nicht nur zuhören, sondern aktiv miteinander ins Gespräch kommen? Bei unserer jüngsten Veranstaltung haben wir genau das ausprobiert – mittels HyHyve, einer Online-Plattform, die Raum für echten Austausch bietet. Diese Plattform war auch für uns aus der Advanced Foresight Group neu und anfangs gewöhnungsbedürftig. Aber sie hat hervorragend funktioniert und einmal mehr bewiesen: Ausgetretene Pfade zu verlassen, führt oft nicht nur effizienteren Ergebnissen – sondern auch zu neuen Erkenntnissen. Unsere Erkenntnis des Abends ist – in einen Satz destilliert –, dass echter Austausch wertvoller ist als jeder Vortrag. Ein Austausch, der durch drei hochklassige Impulse noch beflügelt wurde. Impulsgeber waren Michael Kahnert von Miltenyi Biotec zum Thema “Umgang mit regulativen Hemmnissen am Beispiel gentechnischer Innnovation im Bereich personalisierter Medizin”, Dr. Stefan Niederhafner von SUDECO zum Thema „Wie kann mein Unternehmen in Zukunft Wasserstoff nutzen” sowie Dr. Timo Witt von aevoloop zum Thema “Kreislaufwirtschaft und innovative Plastikherstellung”. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Bernhard Albert von Foresight Solutions und André Winzer von Schaltzeit.
Austausch als Treiber für Innovation
Zwischen den Impulsen war zeitlich und virtuell viel Raum für direkte persönliche Gespräche und verbindende Dialoge. Die Resonanz war deutlich: Die Teilnehmenden empfanden den Austausch als spannend und inspirierend. Natürlich gab es auch kleinere technische Hürden – doch genau hier liegt auch die Chance: Wir wollen interessierte Menschen mitnehmen, um gemeinsam neue Ideen zu entwickeln und neue Horizonte zu eröffnen. Chemie-, Pharma- und Biotech-Unternehmen sind im Wortsinn systemrelevant. Sie prägen unsere Wirtschaft, schaffen das Fundament für zahlreiche andere Industrien, sichern Versorgungsketten, sorgen für technische und medizinische Fortschritte und ermöglichen das Wohlbefinden jeder:s Einzelne:n.
Die Herausforderungen sind enorm: Wie können “Kodak- oder Nokia- Momente” für die chemisch-pharmazeutische Industrie vermieden werden? Wie lässt sich für die Chemie die “Verbrennerfalle” umschiffen, in der die deutsche Automobilbrache gefangen ist? Wie kann die Branche ihre Potenziale für eine resiliente, nachhaltige und wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft sichtbar machen und voll entfalten? Erste Antworten liefern die Impulsgeber unserer Veranstaltung.
Innovation versus Regulatorik
Michael Kahnert (seit Oktober 2022 Manager Governmental Affairs bei Miltenyi Biotec) verdeutlichte, wie gesetzliche Regulierung und bürokratische Rahmenbedingungen als Bremsklötze wirken, obwohl die Technologien des Unternehmens nachweislich die Lebensqualität von Menschen verbessern und Leben retten können. Das weltweit tätige Unternehmen mit über 5.000 Mitarbeitern ist unter anderem in der Lage, Immunzellen so zu behandeln und aufzubereiten, dass sie im Körper wieder wirksam werden. Ein wichtiger Baustein dieser Therapien – und zugleich die wirtschaftlichste Lösung – ist die dezentrale Produktion, d. h. die Herstellung der Zelltherapien nahe am Krankenbett statt in zentralisierten Großfertigungsanlagen. Dieses Vorgehen steht im Widerspruch zu den herkömmlichen Herstellungs-, Prüf- und Zulassungsverfahren für Arzneimittel. Zudem erschwert die regulatorische Einordnung der Arbeit mit lebenden Zellen und biologischen Materialien – teils unter rechtlich nicht passenden Produktkategorien – die Zulassung und das Inverkehrbringen.
Die innovative technische Lösung ist vorhanden und könnte direkt ans Krankenbett gebracht werden, doch komplexe Zuständigkeitsstrukturen und regulatorische Verfahren setzen Miltenyi Biotec als Innovationstreiber deutlich Grenzen. Daher versteht sich das Unternehmen heute nicht nur als Entwickler biomedizinischer, biophysikalischer und biochemischer Verfahren zur funktionellen Veränderung und Selektion von Immunzellen, sondern auch als Akteur in der politischen und regulatorischen Beratung politischer Entscheider:innen – von der EU- bis zur Bezirksebene.
Kunststoffe auseinandergenommen
Dr. Timo Witt, CTO von aevoloop, lenkte den Blick auf das Thema Kunststoffe. Das Leipziger Deep-Tech-Start-up entwickelt Kunststoffe der nächsten Generation – kreislauffähig, leistungsstark und unabhängig von fossilen Rohstoffen. Kunststoffe sind allgegenwärtig und Mikroplastik inzwischen überall. Ihre Langlebigkeit, ihre komplexe Zusammensetzung und ihr Einsatz als Verbundwerkstoff machen das Recycling vieler Kunststoffe nicht nur ökonomisch aufwendig, sondern auch technologisch anspruchsvoll. Aevoloop möchte mit einem Übergang vom mechanischen zum chemischen Recycling Kreisläufe schließen: Dafür werden vor allem Polyolefin-Abfälle in einem energiearmen Prozess zu molekularen Bausteinen umgewandelt, aus denen neue, vollständig recycelbare Kunststoffe entstehen. „Nachhaltige Wirtschaft ist Kreislaufwirtschaft“, so Witt.
Mit gezielten Investitionen in Forschung und Entwicklung will das Unternehmen nicht nur bessere, weil mehrfach verwertbare Kunststoffe entwickeln und produzieren, sondern auch Abfallströme und bereits deponierte Kunststoffe aus Deutschland und Europa als Rohstoffquelle nutzen – statt auf fossile Importe zu setzen.
Wann wieviel Wasserstoff?
Dr. Stefan Niederhafner von SUDECO, einer der Experten für eine nachhaltige Zukunft in der Advanced Foresight Group, gab spannende Einblicke in die zukünftige Rolle von Wasserstoff. Wasserstoff ist einer der wichtigen Bausteine für die Chemie der Zukunft, nicht zuletzt durch seine Doppelrolle als Energieträger und möglicher Feedstock. Dass wir unsere CO₂-Emissionen drastisch reduzieren müssen, steht außer Frage und ist nicht zuletzt in den nationalen und EU-weiten Klimazielen festgeschrieben. CO₂-Preise um die 150 bis 200 Euro pro Tonne werden im EU ETS bereits für 2030 erwartet, selbst konservative Schätzungen gehen von 400 Euro im Jahr 2040 aus. Mit dem Ausbau des Wasserstoffnetzes wird zudem die Verfügbarkeit von Erdgas weiter sinken. Das legt jedem Unternehmen und jedem einzelnen Produktionsstandort zwingend nahe, strategische Überlegungen anzustellen, welche Rolle Wasserstoff im Betriebsablauf spielen kann und wie dessen ökonomisch konkurrenzfähig Bereitstellung vor Ort abzusichern ist.
Start-ups als Game-Changer der Industrie
Ein zentrales Learning aus der Veranstaltung: In Deutschland entstehen junge Unternehmen, die den Stillstand der „alten Chemie“ nicht länger hinnehmen. Sie wollen etablierte Probleme lösen und entwickeln mutige, tragfähige Visionen für eine nachhaltigere chemisch-pharmazeutische Industrie. Mit konkreten Projekten zeigen sie, wie wirtschaftlicher Erfolg und ökologische Verantwortung zusammengehen können. Damit liefern sie Anhaltspunkte, wie eine wirtschaftlich erfolgreiche und nachhaltige Branche aussehen kann – und gehen dabei weit über die leider oft zu hörenden Forderungen hinaus, bestehende Produktionsbedingungen auf Dauer fortzuschreiben und notfalls mit staatlicher Regulierung oder Subventionen abzusichern.
Das ist kein Angriff auf etablierte Unternehmen, die für den Wandel Stabilität und Planungssicherheit benötigen. Es ist vielmehr ein Weckruf: Die Zukunft der Branche in Deutschland und Europa steht am Scheidepunkt – Change by Design oder Change by Disaster? Die in der Veranstaltung präsentierten Ideen und Ansätze machen Hoffnung: Chemie kann mehr als funktionieren – sie kann innovativ, nachhaltig und gesellschaftlich verantwortungsvoll agieren. Gleichzeitig wurde sichtbar, wie wichtig ein tieferes Verständnis für die Relevanz und Rolle der Branche in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ist.
Was kommt als Nächstes?
Eines steht fest: Wir machen weiter – denn ohne Chemie geht es nicht. Doch Chemie muss weiter gedacht werden. Unser Ziel bleibt klar: den Dialog fördern, Wissen teilen und neue Impulse setzen.
Anfang nächsten Jahres diskutieren wir mit Björn Theis (Evonik) die neuen VCI-Szenarien, die im November 2025 veröffentlicht werden. Er und sein Team waren maßgeblich an ihrer Entwicklung beteiligt und haben sie mit zahlreichen Expert:innen abgestimmt. Uns erwartet eine spannende Debatte, die aufzeigt, wohin sich die Branche bewegt – und welche Herausforderungen noch zu bewältigen sind.
Wie bereits mit Stichworten wie „Nokia-Moment“ und „Verbrennerfalle“ angedeutet: Ein „Zurück zu dem, wie es früher war“, mit billigem Erdgas aus Russland und stabilen Exportmärkten, wird es für die Chemie genauso wenig geben wie für andere Branchen. Aber das bedeutet keineswegs, tatenlos zuzusehen.
Wir von der Advanced Foresight Group sind überzeugt, dass die chemisch-pharmazeutische Industrie in Deutschland über genug Erneuerungskraft, Innovationspotenzial und das richtige Personal verfügt, um auch in zukünftigen Wirtschaftszeitaltern ganz vorne mit dabei zu sein. Die Unternehmen, die bei unserem Event einen Einblick in ihre Wirtschaftstätigkeiten gegeben haben, können exemplarisch für diesen Wandel stehen.
Mit unseren Methoden, Netzwerken und Expert:innen liefern wir konkreten Input, zielgerichtete Informationen und das entscheidende Momentum – damit Sie sicher im Post-Erdgas-Zeitalter ankommen. Rufen Sie uns einfach mal an.
Unsere nächsten Ziele:


